3. UNGLÜCKLICH VERLIEBT

Am Jahresübergang 1977/1978 'begann' meine erste große Liebe: Ich verliebte mich in M., ein Mädchen zwei Klassen unter mir, sportlich, (mindestens scheinbar) selbstbewußt, sich an größeren SchülerInnen orientierend... - eine alles in allem sehr starke und im Ende dann sehr unglückliche Liebe: Über drei Jahre hinweg sind wir nicht zusammengekommen... Ich habe sehr viel in dieser Zeit gelernt, angefangen von der Überwindung meiner Schüchternheit, ich habe meine Stärken kennengelernt, Kreativität, Kommunikation, Psychologie, ich habe Gefühle durchlebt und ausgedrückt wie nie zuvor, habe geworben und geweint, habe gedichtet und gemalt - eine wunderbar-tragisch romantische Zeit. 1980 hat sich definitv herausgestellt, dass M. magersüchtig ist, dass sie von daher an Beziehungen zu Jungen nicht interessiert ist. Noch zwei Jahre war ich ihr ‚treu', habe versucht, dazusein, habe auch viel mit ihr über ihre Krankheit gesprochen, habe ständig erlebt, dass ich als guter Freund immer auch Bedrohung war für sie... all das wäre mehr als eine eigene Geschichte wert.

Was mir hier in diesem Zusammenhang wichtig ist: Einmal war M. vor ihrer Krankheit (bzw. vor dem offenen Ausbruch der Magersucht) nicht dünn, vielleicht ansatzweise pummelig... Eine Schlüsselszene: Ich gehe durch die Gänge der Schule, sehe vor mir in einer hellen Latzhose einen wunderbar breiten Po, mein erotisches Ich sofort hellwach - und merke erst im zweiten, dritten Blick: Das ist ja M.! Hat sie für mich damals noch viel begehrenswerter gemacht.

Und dann überlege ich mir, welche Funktion die Treue zu M. über die ganzen Jahre der Spätpubertät für das Verhältnis von Sexualität und Liebe bei mir gehabt haben könnte. Meine Deutung bislang: Weil sie mir so wichtig war, und weil sie körperlich so unerreichbar war, hatte ich wenig Gelegenheiten, meine erotischen Vorlieben zu entdecken, in meine Liebe, meine Beziehung zu integrieren. Ob es nicht umgekehrt formuliert werden müßte: War ich deswegen N. so treu, weil ich mich dann nicht mit meinen doch von mir selbst auch als ver-rückt empfundenen sexuellen Vorlieben auseinandersetzen mußte? Wer weiß.

Eine Episode: Bei einem Urlaub mit einer Gruppe Jugendlicher in Spanien bin ich sehr nah an D. 'herangerutscht', Freundin von M., etwas älter als ich. Viele Gespräche über M., über Liebe, Leben, Gott und Welt. D. war mollig, hatte eine volle Brust. Und ich hatte gemerkt, wie ich mich in D. zu verlieben begann, in meinem Tagebuch damals gibt's ein paar Notizen dazu... . Aber wieder zuhause habe ich dann deutlich die Treue zu M. betont, wollte, konnte M. nicht loslassen. Auch hier wieder die Frage nach den Motiven...






Während der ganzen Sehnsuchtszeit mit M. lebte meine Dicken-Erotik weiter, als ständiger und treuer Begleiter... . Nur ein paar Highlights: Erotisch aufregend (und zeichnerisch anregend) waren für mich die Skizzen von Heinrich Zille, die ich mir in einigen Bänden von der Stadtbücherei holte und scheu zuhaus versteckte: Dicke, füllige, z.T. nackte Frauen. Traditionell schon fast in Berichten anderer Menschen mit gleicher Vorliebe, bei mir eben auch: Die überaus reizvollen Vorher-Bilder in Frauenzeitschriften von Diät-Erfolgen, insbesondere in der Zusammensicht mit den dazugehörigen Erfahrungsberichten. Nun, sie verfestigten natürlich das in den eigenen Erfahrungen mit real existierenden Dicken schon angelegte Bild von der unglücklichen dicken Frau. Dass es so etwas wie ‚fat pride', rundes Selbstbewußtsein geben könnte, war ferne; ferne auch die Hoffnung, je eine dicke Freundin finden zu können (und selbst bei der durchaus selbstbewußten D. von oben standen Diät- und Reduktionspläne auf dem Konversationsprogramm). Gleichzeitig wuchs in der unerfüllten Beziehung mit M. auch mein Wunsch, einfach zu kuscheln, zärtlich zu sein, sanfte Erotik - völlig unabhängig von der Figur der Partnerin. Dass und wie dauerhaft meine Sexualität tief verbunden ist mit dicken Menschen, war mir damals überhaupt nicht bewußt.

4. Studium: Die Geschichte mit B. beginnt...


7. Erste Kontakte zur „Szene“. Und B. erfährt davo
6. Erste Ahnungen: Ich bin nicht allein...