7. ERSTE KONTAKTE ZUR „SZENE“. UND B. ERFÄHRT DAVO

Der nächste Schritt in meiner Geschichte hat wieder einen klar benennbaren äußeren Grund: Im Jahr 1996 kaufe ich ein Modem und gehe mit dem Comp ans Internet, im Jahr 1997, mit einem neuen, schnelleren Computer verkürzen sich die Ladezeiten, Surfen ist möglich. Nochmal und verstärkt die Entdeckung: Ich bin nicht allein, da gibt es im Web eine ganze Size-Acceptance-Szene, selbst erste Seiten im deutschsprachigen Raum. Immer wieder surfe ich nachts durch diese Seiten, lese, schaue, staune. Bald habe ich eine E-mail-Adresse unter einem Pseudonym (peterB77@hotmail.com, mittlerweile inaktiv, war mein Einstieg in die neuen Welten. peterB damals noch ganz ohne „RundeKunst“, die kam erst etwas später dazu) und hinterlasse hier und dort erste Postings in Size-Acceptance-Foren: Ich bin nicht mehr stumm und schaue nur hin, sondern ich äußere mich, gebe mich - wenngleich in der anonymen Öffentlichkeit des Web - als "Fat Admirer" zu erkennen, stehe wenigstens hier und unter falschem Namen zu meinen Vorlieben.

Über Beiträge, in dem ich meine Situation schildere, entstehen erste Mail-Kontakte, zum Teil längerer Gedankenaustausch mit einigen ebenso anonymen Männern und Frauen. Der eine oder andere bleibende Mail-Kontakt ist daraus entstanden. Und hin und wieder habe ich mich - ohne B.'s Wissen - mit anderen FA's, einmal mit einer BBW live vereinbart: Welten tun sich auf, Gefühlsachterbahnen wie seit Jahren nicht mehr... . Und langsam, so über den Sommer 1998, wächst der Wunsch und der Druck, B. von meiner Dicken-Welt zu erzählen, sie nicht mehr dauernd außen vor zu lassen, angeregt und ermutigt auch von einigen Mails. Aber der Mut fehlt mir schlicht. Im Sommerurlaub 1998 war ich fast so weit, erlebe B. und mich dann aber sehr glücklich und habe wieder große Angst vor den destruktiven und verunsichernden Folgen eines Geständnisses.

Für mich ist diese Entwicklung seit 1996 zum einen sehr positiv: Ich bin nicht mehr nur passiver Voyeur, Zuschauer, sondern erlebe mich aktiv, kreativ, kommunikativ: Viel mehr noch als früher kann ich meine Vorliebe äußern, konstruktiv mit meinen Fantasien, meinen Träumen, meiner Sexualität umgehen. Auch merke ich, wie sich meine Sexualität einbettet in eine Kultur des Austauschs, in Gespräche, in denen dann manchmal eben nicht nur Erotik, sondern auch Alltag im Vordergrund steht.

Auf der anderen Seite wird mein Gefühl im Blick auf B. schlechter, ich denke immer öfter: Was ich da mache, hat etwas mit Betrug, mit Ehebruch zu tun. Nicht sosehr, weil ich uns beiden und der Familie gemeinsame Lebenszeit entziehe - seit 1994 sind wir beide berufstätig, auch B. ist oft abends unterwegs und ich bin immer wieder und ohne schlechtes Gefühl in meiner "dicken Welt". Viel mehr deswegen, weil sie so gar nicht mitbekommt, was mich doch sehr beschäftigt, sehr bewegt, weil ich mein Ideal, in unserer Beziehung möglichst viel miteinander zu teilen, selbst zunehmend vernachlässige und unterlaufe.

Nun: B. kommt mir zuvor, Anfang Januar 1999 ertappt sie mich sonntags in der Mittagspause beim Malen. Sie merkt sofort mein Erschrecken und spricht mich abends darauf an. Voller Angst und Panik, ich habe richtig gezittert, erzähle ich von meiner Vorliebe für Dicke, erzähle die Episoden aus meiner Kindheit, erzähle von meinen Skizzen... und B reagiert darauf sehr liebevoll und verständnisvoll. Es sei doch gut, wenn ich dafür ein Ventil gefunden habe - und sie liebe mich auch so. Mir fallen etliche Steine vom Herzen, lange liege ich nachts noch wach, überlege, ob und wie ich B behutsam mit hineinnehmen kann in meine ‚dicke Welt'... Es ist für mich aber ungeheuer schwer, in den nächsten Tagen an unser offenes Gespräch vom Sonntagabend anzuknüpfen, ich fühle mich sprach- und hilflos. Einige Wochen später weint dann B doch: Für wen pflege ich dann eigentlich meinen Körper, mache ich mich schön? Ich erzähle davon, wie mich auch ihre weichen und runden Stellen faszinieren, wie schön für mich unsere zarte Erotik war und ist, spreche von "Erotik auf den zweiten Blick" und wie ich B. liebe; ich ahne und merke aber doch, wie weh B. diese "sexuelle Zurücksetzung" tut. Wieder bin ich hilflos, will B. nicht weh tun, kann mich aber auch nicht verstellen. Ich liebe B. sehr, weiß aber manchmal einfach nicht mehr, wie es weitergehen soll, weitergehen wird.

Diesen Text habe ich damals als Grundlage für eine Beratung geschrieben, die ich zur Selbstklärung gemacht habe. Ich habe ihn dann auch B. gegeben, um ihr Kenntnis zu geben von meinem inneren Doppelleben und meiner Zerrissenheit. Viel ist seither geschehen. Mir ist im Laufe der Beratung deutlich geworden, dass ich meine erotische Prägung nicht mehr vor mir und anderen verstecken will – und auch nicht mehr kann, dazu ist viel zu viel vom „Es“ ins „Ich“ schon gewandert. Und es ist auch deutlich geworden, wie unsere Beziehung durch dieses Coming out im Kern erschüttert worden ist: Für B. bedeutete diese Entwicklung eine tiefe Verunsicherung und Verletzung – und ich hatte sehr oft ein schlechtes Gewissen, alles tat weh. Seit Anfang 2005 nun leben wir getrennt. Für mich war die Trennung an der Zeit – und hat auch viel von Entkrampfung und Lösung. Es ist uns ganz brauchbar gelungen, die schwierigen Fragen in der Trennungszeit gemeinsam zu klären und anzugehen – kein Rosenkrieg. Vielleicht auch deswegen, weil eben nicht Erotik, sondern Freundschaft unsere Beziehung von Anfang an geprägt und getragen hat. Unsere Kinder scheinen die Trennung fürs Erste ganz gut bewältigt zu haben und als Freiberufler habe ich auch unter der Woche immer wieder Zeit für sie und ihren Alltag. Am Schlimmsten war (und ist wohl immer noch) dies alles für B.: Sie hat die Entwicklung und Entfremdung ihres Mannes erlebt und durchlitten, ohne je viel ausrichten oder tun zu können, um die Beziehung zu retten.

PeterB, August 2006.







3. Unglücklich verliebt